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Das Jahresmagazin von Innosuisse 2022

Themenbeitrag

Schweizer KMU und Innovationen

Eine Innovationsmentorin und ein Innovationsmentor berichten aus ihrem Alltag

KMU und andere private oder öffentliche Organisationen mit weniger als 250 Vollzeitstellen können bei Innosuisse kostenlos ein Mentoring beantragen. Erfahrene Innovationsmentorinnen und -mentoren helfen den KMU, ihre Innovationsidee zu strukturieren, den richtigen Forschungspartner zu finden oder einen Projektantrag einzureichen. Zudem beraten sie die Unternehmen, um die passende Förderung für das Innovationsvorhaben zu finden. Gabriele Schwarz und Stefano Colombo erzählen über ihre Erfahrungen mit KMU.

Vier Fragen an...

Gabriele Schwarz

Gabriele Schwarz studierte Informationsmanagement an der Universität St. Gallen und promovierte zum Thema Logistikkonzepte im Maschinen- und Anlagenbau. 2012 gründete sie das Unternehmen Innovista Management, das sich auf die Schulung und Betreuung von Innovations- und Technologieprojekten spezialisiert hat. Seit 2013 ist sie zudem als Innovationsmentorin für Innosuisse tätig und hat rund 300 Projektanträge in den Bereichen ICT, Technik, Energie und Sozialwissenschaften begleitet.

Wie können Sie als Innovationsmentorin den KMU helfen?

Meine Rolle ist bei jedem Projekt anders und hängt auch davon ab, in welchem Stadium sich das Innovationsvorhaben befindet: Ich bin vom Ideenprozess bis zur Planung des Projektes für den Förderantrag dabei oder auch nur bei einzelnen Schritten. Ich muss vor allem am Anfang viel zuhören und Fragen stellen. Irgendwann erhält man ein Gefühl dafür, wo der Schuh drückt.

Als Mentorin bringe ich Struktur rein. Es kann sogar sein, dass wir bei der Erarbeitung eines Projektes als ersten Schritt ein Glossar miteinander verfassen, um sicherzugehen, dass alle Beteiligten dasselbe verstehen. Je detaillierter wir offene Fragen klären, desto mehr Reibungsfläche gibt es am Anfang, desto besser spielen die Partner danach aber zusammen.

Im Ideenprozess ist es sehr wichtig, vernetzt denken zu können. Sind alle Fragen geklärt und geht es an die Gesuchserarbeitung, ist es wichtig, dass man Arbeitspaket für Arbeitspaket vorgeht. Möglichkeiten für Rückfragen und Anpassungen sind wichtig, ich bin aber allergisch, wenn Prozessbeteiligte denken, sie könnten bei Bedarf alles wieder umstellen. Das bringt Unruhe in einen Projektantrag.

Bei einem geplanten Projekt treffen immer ganz viele Fachexpertinnen und -experten aufeinander. Da ist es wichtig, dass jemand den Überblick hat. Meine Expertise als Mentorin liegt im Innovationsprozess. Meine Aufgabe ist es, herauszufinden, wo die Sollbruchstellen sein könnten. Lassen Sie mich das auf ein Mobile übertragen: Gehen wir davon aus, dass jedes einzelne Stück des Mobiles eine Expertin oder ein Experte ist. Jede und jeder von ihnen hat ein brillantes Wissen in einem Gebiet. Als Mentorin versuche ich, diese hochspezialisierten Teile miteinander in Kontakt zu bringen. Wenn nur ein Teil eines Mobiles schwerer wird, kommt das ganze Mobile ins Ungleichgewicht.

Einer meiner Mentorenkollegen hat mal gesagt: «Wir sind das Parship zwischen der Industrie und der Forschung.» Ich finde das einen treffenden Vergleich.

Wichtig ist bei dieser Arbeit, dass man gut vernetzt ist. Ebenso wichtig ist es für mich als Mentorin, auch mal vor Ort zu gehen, zum Beispiel in die Fabrikhalle. Das hilft fürs Verständnis und man erhält eine Vorstellung davon, wie die Lösung aussehen könnte. Dadurch, dass man nicht Fachexpertin ist, sieht man andere Dinge und fragt nach.

Nennen Sie uns ein paar konkrete Beispiele aus der Praxis.

Eines meiner Lieblingsbeispiele aus dem Mentoring-Alltag ist ein Projekt mit den Appenzeller Bahnen. Das KMU mit 130 Mitarbeitenden hat im Winter regelmässig mit einem Wetterphänomen zu kämpfen. Der sogenannte Laseyer-Wind, ein Fallwind bei der Ebenalp, der beschleunigt und sich zu drehen beginnt, kann mit seiner Kraft sogar Bahnwagen umblasen. Aus Sicherheitsgründen wird bei entsprechender Windvorhersage jeweils auf Busbetrieb umgestellt. Doch der Aufwand dafür ist gross, die Umstellung ist teuer und hat Auswirkungen auf den überregionalen Pendlerverkehr. Und oft kam der Wind dann doch nicht.

Die Appenzeller Bahnen wollten deshalb ihr bestehendes konservatives Warnsystem verbessern. Zusammen haben wir für den Förderantrag analysiert, wo das Problem liegt, wer helfen könnte und welche Teillösungen es bereits gibt, zum Beispiel bei der windgeprüften Säntisbahn oder bei der Jungfraubahn. Puzzleteil um Puzzleteil stellten wir die einzelnen Teilschritte zusammen.

Nach dem positiven Förderentscheid von Innosuisse forschte die ETH Zürich nach einem Windmuster. MeteoSchweiz stellte ihre Messstationen, Daten und Modelle zur Verfügung. Es ging vor allem um die Frage, wie sich die Daten mit künstlicher Intelligenz auswerten und die Auswertungen auf das Bahnleitsystem integrieren lassen. Eine Entscheidung muss jeweils schnell getroffen werden. Das Team nutzte auch einen Hochleistungsrechner im Tessin und den Windkanal bei der RUAG in Emmen.

Am Schluss fanden die Projektpartner ein Frühwarnsystem, das sehr viel präziser ist als die bisherigen Vorhersagen, und die Appenzeller Bahnen müssen weniger auf Busbetrieb umstellen. Es freut mich sehr zu sehen, wie gut dieses Projekt umgesetzt wurde.

Bei einem anderen Gesuch plante das Unternehmen Adnovum Informatik AG, den Automarkt zu revolutionieren: Die Idee war, den ganzen Lebenszyklus eines Autos auf Blockchain zu schreiben – vom Import bis zur Verschrottung. Statt dass Daten irgendwo in lokalen Datenbanken gespeichert wurden, sollte alles digitalisiert und für jeden einsehbar gemacht werden, selbst das Fahrtenbuch.

Dieser Cardossier-Antrag war eines der besten Vorhaben, das ich begleitet habe. Gemeinsam mit dem Team legten wir die Grundlage für den Aufbau des Ökosystems – zusammen mit der Universität Zürich, der Hochschule Luzern, Mobility, AMAG, der AXA Versicherung, PostFinance und anderen Partnern. Wir konnten alle diese Leute für das Fördergesuch an Bord holen und hatten das ganze Ökosystem zusammen. Das Einzige, was für den Projektantrag noch fehlte, war die Zulassung. Das Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau zierte sich aus Kapazitätsgründen lange, und die Partner wollten das Projekt schon abschreiben. Ich rief zum letzten Mal da an und sagte dem Leiter des Strassenverkehrsamts, es handle sich um das beste Projektvorhaben, das ich als Mentorin je aufgesetzt habe. Nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, rief der Leiter von Strassenverkehrsamt zurück und sagte: OK, wir machen mit. Das war eine grosse Freude für uns alle.

Welche Schweizer KMU sind besonders innovativ? Und was kann ein Unternehmen daran hindern, innovativ zu sein?

Unter meinen Kunden finde ich viele innovative KMU im Bereich Software, Medtech, Maschinenbau und Energie.

Ein klassisches KMU, zum Beispiel ein Familienbetrieb im produzierenden Gewerbe, ist grundsätzlich gut aufgestellt für Innovationen: Die Entscheidungswege sind kurz und die Strukturen sind agil. In den meisten Fällen steht die Geschäftsleitung oder der Verwaltungsrat hinter einer innovativen Idee, man muss selten Extrarunden drehen und das Budget wird relativ schnell freigegeben. Das läuft oft besser als bei Grossfirmen, bei denen es über verschiedene Hierarchiestufen geht. Bei traditionellen KMU gibt es oft einen Patron oder eine Eigentümerin, die sehr aktiv im Geschäft drin sind. Es ist wichtig, sie ins Boot zu holen.

Einer Innovation im Wege stehen können die Faktoren Zeit und Geld: Ein KMU hat so wenig Ressourcen, dass man keine Zeit für Aufgaben ausserhalb des Tagesgeschäfts hat. Oder es fehlt schlicht das Geld. Auch ein wichtiger Punkt ist fehlende Vernetzung: Wenn man keine Zeit hat, um zu Veranstaltung zu gehen, weiss man oft auch nicht, was in der Branche so läuft.

Auch wenn viele Vorhaben, die ich bis zur Gesucheinreichung begleite, im technischen Bereich angesiedelt sind, hängt die Arbeit an Innovationen am Schluss von den Menschen ab. Ich habe eine persönliche Auswertung meiner bisherigen Projekte gemacht: Damit etwas funktionierte, war immer das Team entscheidend. War die Stimmung konstruktiv, fanden wir immer eine Lösung. Wenn das Team untereinander nicht klarkommt, dann funktionierte es am Schluss nicht. Schwierig wird es auch, wenn es in einem Unternehmen versteckte Agenden oder interne Machtkämpfe gibt.

Sie haben von Lieblingsvorhaben gesprochen. Gibt es auch Lieblingskundinnen und -kunden? Welche Kundinnen und Kunden wünschen Sie sich als Mentorin?

Egal ob für eine erste Auslegeordnung, für die Suche nach einem Forschungspartner oder nach Unterstützung für einen Projektantrag: Es hilft, wenn ein Unternehmen so früh wie möglich Mentoring beantragt. Da ist es viel einfacher, noch Weichen zu stellen und eine Idee einer forschungsbasierten Innovation zielführend aufzugleisen.

Bei der Beratungsarbeit wünsche ich mir offene Ohren, eine gewisse Neugier und die Fähigkeit, Sachen zu hinterfragen. Bei Gesprächspartnerinnen und -partnern, die nur ihre Meinung bestätigt haben möchten, tue ich mich schwer.

Ich wünsche mir Firmen, die mit Leidenschaft bei der Sache sind, die nicht einfach kommen, weil der Bund Unterstützung in Aussicht stellt. Beteiligte, die das Projekt nicht nur als ihren Job sehen, sondern mit Herzblut dabei sind. Es gibt so vieles, das bei der Vorbereitung eines Projektantrags nicht funktioniert, z.B. ein Partner springt ab, Finanzen fehlen, da braucht man Humor. Es hilft, wenn man zusammen heulen und lachen kann. Eine Innovation zu entwickeln braucht eine gute Kommunikationstoleranz.

Nach über 300 Projekteingaben, die ich als Innosuisse-Mentorin begleitet habe, bin ich immer noch mit Herzblut dabei und stolz auf «meine» KMU. Sie wissen manchmal gar nicht, auf was für Rohdiamanten sie sitzen.

Vier Fragen an...

Stefano Colombo

Stefano Colombo studierte Elektrotechnik an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Von 2004 bis 2014 leitete er Alpiq Energia Italia. Heute ist er Geschäftsleiter der Unternehmensberatung STAN2SERVICES Srl und in mehreren Verwaltungsräten und Verbänden tätig. Seit 2019 ist er Innovationsmentor für Innosuisse.

Wie bringt man Unternehmen und die Forschung zusammen?

Als Tessiner Mentor betreue ich vor allem Vorhaben im italienischsprachigen Landesteil und wegen meines beruflichen Hintergrunds insbesondere im Fachbereich Energie.

Meistens sehe ich schnell, ob eine Idee für ein Innovationsprogramm von Innosuisse passt. Das Projekt muss innovativ sein – das heisst die Idee muss neu sein und es im Idealfall zu einem Patent bringen. Ebenso wichtig ist aber auch, dass sich die Unternehmen Zeit nehmen können. Wenn ein Produkt, aus welchen Gründen auch immer, innert weniger Monate auf den Markt kommen muss, kommt es für die Förderung durch Innosuisse kaum in Frage, weil wissenschaftsbasierte Innovation ihre Zeit braucht.

Bei vielen Projekten werde ich schon für die erste Überprüfung der Projektidee beigezogen, helfe auf der Suche nach dem richtigen Forschungspartner, biete Koordination und Unterstützung beim Verfassen des Gesuchs. Ab und zu muss ich aber auch zwischen den Projektpartnern vermitteln.

Ich arbeite oft an Vorhaben, die ein Unternehmen zusammen mit der Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana SUPSI in Lugano umsetzen möchte. Oft haben sich die beiden Partner bereits gefunden und arbeiten zusammen. Ich werde beigezogen, um spezifische Fragen zu beantworten und einzelne Probleme vor der Antragstellung anzuschauen. Das sind interessante und ergiebige Mandate, in denen die Partnerinnen und Partner meistens problemlos zusammenarbeiten.

Ab und zu kommen aber auch Unternehmen mit falschen Erwartungen zu mir: Einmal ging ein KMU davon aus, dass der Forschungspartner und der Mentor die ganze Arbeit machen. Nachdem ich erklärt habe, dass das eine Zusammenarbeit ist und nicht ein Auftrag, habe ich vom Unternehmen nichts mehr gehört.

Was sind denn mögliche Hürden bei der Zusammenarbeit?

Manchmal läuft bei der Zusammenarbeit nicht alles reibungslos, da braucht es eine externe Partei für die Vermittlung – ich verteile dann zum Beispiel die Rollen, wer was im Antrag übernehmen könnte.

Einmal wurde ich zu Hilfe geholt, als es zwischen einem Unternehmen und seinem Forschungspartner Konflikte gab. Ich musste zwischen den beiden Parteien vermitteln, koordinieren und sie für eine Gesucheinreichung motivieren. Ich machte ihnen klar, dass es immer möglich ist, Forschungspartner zu wechseln, aber nicht immer so einfach und schnell. Ich fungierte als Schnittstelle zwischen den beiden Parteien und erledigte auch Motivations- und Koordinationsarbeiten, damit es mit dem Förderantrag vorwärts ging.

Das Hauptproblem war, dass das KMU zu hohe Erwartungen hatte, und der Forschungspartner hatte nicht so viel Zeit, wie sich das Unternehmen das vorgestellt hatte.

Wie schätzen Sie die Innovationskraft der Schweiz und der hiesigen KMU ein?

Die Schweiz steht in internationalen Innovationsrankings zu Recht seit Jahren an erster Stelle. Die Forschung hierzulande ist sehr innovativ, und viele Abteilungen an den Hochschulen sind Weltklasse.

Als besonders innovativ schätze ich aus meiner Erfahrung Schweizer KMU ein, die mit IT zu tun haben und sich mit Themen wie Blockchain oder künstliche Intelligenz beschäftigen. Bei Firmen, die Hardware entwickeln, sehe ich eher noch Potenzial für Innovation, gerade auch im Energiesektor.

Im Vergleich zu Italien, wo ich auch gearbeitet habe, innovieren Schweizer Unternehmen deutlich mehr. Das hat meiner Meinung nach weniger mit fehlender finanzieller Unterstützung zu tun, sondern eher mit der Grundhaltung gegenüber dem Thema Veränderungen. Grundsätzlich spielt Innovation in der Schweiz eine sehr wichtige Rolle, dies auch dank Innosuisse.

Inwiefern?

Innosuisse hat mit ihren Programmen massgeblich dazu beigetragen, dass Forschung und Wirtschaft näher zusammengerückt sind.

Zu meiner Zeit als Elektrotechnikstudent der ETH war das noch anders: Die Forschung war damals mehr mit sich selber beschäftigt, jetzt ist der Blick viel mehr auf konkrete Anwendungen und Geschäftsmodelle gerichtet. Das zeigt sich allein schon daran, dass es viel mehr Spinoffs gibt als damals. In Rankings werden Hochschulen nun auch an KPI als Schlüsselkennzahlen für Erfolg und Misserfolg gemessen und miteinander verglichen.

Heute ist es für Hochschulen ein Hauptziel, mit Innovationen in den Markt zu gehen. Damals war das schon wichtig, aber nicht erste Priorität. Jetzt hat man verstanden, dass die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Industrie grundlegend ist. Innosuisse hat zu diesem Umdenken einen sehr wichtigen Beitrag geleistet.